Braunau in Böhmen und Mark Ther in München

Am 7. April war Mark Ther zu Gast im Sudetendeutschen Haus. Er „gilt als einer der bekanntesten, jungen bildenden Künstler Tschechiens, vor allem im Bereich Videoart.“, wie auf der Website des Tschechischen Zentrums zu lesen war. Auf der Website des Sudetendeutschen Hauses war leider nichts zur Veranstaltung zu lesen und somit überrascht es vielleicht auch nicht, dass sich an diesem Abend leider nur knapp 20 Besucher zum Vortrag unter dem Titel „Braunau in Böhmen und Franz Schmelz“ eingefunden haben. Eigentlich wirklich schade, denn Mark Ther stellte sich schnell als besonnene, vielschichtige und äußert oft sympathisch lächelnde Persönlichkeit heraus.

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Mark Ther / Foto: František Vlček, Lidové noviny

Aber Ther war ja nicht nur gekommen, um zu lächeln.

Vielmehr ging es neben der Vorstellung des Künstlers und seines Werkes darum zu klären, was es mit seiner Verbindung zu Braunau auf sich hat und wer besagter Franz Schmelz war.

Nach einem überraschenden Einstieg im Braunauer Dialekt erzählte Ther auf Tschechisch von seinen familiären Verbindungen nach Böhmen. Vor einigen Jahren begann er sich mit Anfang 30 zunehmend mit der sudetendeutschen Geschichte seiner aus dem böhmischen Braunau stammenden Familie zu beschäftigen und ihr nachzugehen. Sein erster Film, der sich mit dieser Thematik auseinandersetzt ist Pflaumen von 2008. Er zeigt einen Jungen, dem 1946 die Vertreibung aus dem Sudetenland bevorsteht und die Konsequenzen, die diese Bedrohung nach sich zieht.

Zwei weitere Filme wurden danach angespielt: Das wandelnde Sternlein, für den er 2011 den renommierten Jindřich-Chalupecký-Preis (die wichtigste tschechische Auszeichnung für junge Künstler) erhalten hat und der 45-Minüter Bruder. Beide Filme hätte man bei mehr Zeit auch gerne länger gesehen (zumal auch erst der dritte Film ohne störende Taskleiste im Bild gezeigt wurde. Ein Umstand, der natürlich passieren kann und entschuldbar ist, bei der Präsentation von Arbeiten eines Video-Künstlers aber die Stimmung der Filme beschneidet.).

Für alle drei Arbeiten hat Ther lange nach Personen suchen müssen, die ihm noch Texte und Dialoge in die alten Dialekte des Sudetenlandes übersetzen konnten und diese überhaupt noch sprechen. Gerne würde er einen Episodenfilm in Spielfilmlänge verwirklichen, der die verschiedenen Dialekte der Region vereint. Doch diese drohen zusammen mit den Menschen, die sie sprechen, auszusterben.

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Mark Ther im Sudetendeutschen Haus München

Aber Mark Ther geht es nicht nur um die Bewahrung des Auditiven. Der titelgebende Franz Schmelz war der Bruder von Thers Urgroßmutter und hat zu Lebzeiten zahlreiche Zeichnungen der böhmischen Landschaft angefertigt. Diese Bilder hat Ther nun mit Tusche nachgezeichnet oder Siebdrucke davon erstellt. Gerade wurden sie in einer Ausstellung in Wien präsentiert. So hat er das Braunauer Ländchen auch visuell für seine Generation aufbereitet.

Der Hinweis, dass Pflaumen in Wien eine gewisse „Nazi-Ästhetik“ vorgeworfen wurde, hat dann auch bei der anschließenden Fragerunde für Diskussionen im Publikum gesorgt. Der Künstler selbst konnte den Kommentar nicht nachvollziehen. Ihm ging es darum, sich mit dem Gefühl auseinanderzusetzen, von einer auf die nächste Stunde seine Heimat zu verlieren. Trotzdem kamen wiederholt Nachfragen zur Symbolik und der Konzentration auf die Verbundenheit des Jungens im Film mit Bäumen. Dafür hatte Ther eine simple Erklärung: Allein schon aus Kostengründen bieten sich Aufnahmen im Freien für einen historischen Film eher an als teure Nachbauten.

Vorhang

Vorhang zu und alle Fragen offen?

Der Abend hat illustriert, dass die Geschichte Deutschlands und seiner Nachbarländer wesentlich facettenreicher ist als oft bedacht wird und mehr umfasst als die großen Themen, auf die sie meistens reduziert wird. Menschen wie Mark Ther sorgen dafür, dass dies nicht in Vergessenheit gerät. Somit hat die Veranstaltung vielleicht mehr über den Menschen Mark Ther als den Künstler verraten. Das Interesse an seinen „kontrovers diskutierten (…) Interpretationen von gesellschaftlichen oder historischen Tabus“ ist damit aber erst recht geweckt. Doch die sind ein Thema für einen anderen Abend.


Mehr zu Mark Ther und seinen Arbeiten: www.markther.com


 

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Ahoj-Ausflug, In München von Katharina. Permanenter Link des Eintrags.

Über Katharina

Katharina lebt seit ihrem Studium in Wien ihre Leidenschaft für Filme, Reisen und kulturellen Austausch bei Filmfestivals aller Orten aus – egal ob auf spanischen Inseln, in amerikanischen Groß- oder fränkischen Kleinstädten. Kein Wunder also, dass Sie früher oder später durch Cinepol auf Ahoj Nachbarn stoßen musste. Hier freut sie sich, ihren Horizont Richtung Osten erweitern zu können und über jedes polnische Wort, das man sich leicht merken kann. Kotlet, mleko, smacznego!