„Dunkel, fast Nacht“ auf dem Filmfest

Auf dem Filmfest München im Juli werden wir Deutschlandpremiere vom polnischen Film „DUNKEL, FAST NACHT“ („Ciemno, Prawie Noc“) feiern.

Der Regisseur Borys Lankosz hat einen Krimi von Joanna Bator in einer deutsch-polnischen Koproduktion verfilmt. Die Schriftstellerin wurde im 2018 mit dem Internationalen Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet. Für den Roman „Ciemno, prawie noc“ hat sie den wichtigsten polnischen Literaturpreis – NIKE bekommen. Bevor wir ins Kino gehen, möchte ich Euch das Buch von Joanna Bator ans Herz legen. „Dunkel, fast Nacht“ ist schon seit 2016 ins Deutsche übersetzt worden. Der düstere Thriller hält den Leser fest in Spannung und lässt sich schnell lesen.

Die Protagonistin Alicja Tabor kehrt als Journalistin in ihre verlassene Heimatstadt zurück und versucht zu klären, warum dort Kinder verschwinden. Ihr altes Haus steht seit dem Tod des Vaters leer und birgt viele Geheimnisse. Die Stimmung hier ist sehr unheimlich. Alicja fühlt sich ständig beobachtet, um sie herum ereignen sich mysteriöse Dinge. Vor dem Hintergrund der düsteren Atmosphäre hat die Autorin gleichzeitig auch ein Familiendrama erschaffen. Sie schildert wie latente Ängste und Traumata sich in jähe Ausbrüche von Wahnsinn verwandeln. Unerwartet wird Alicja mit schockierenden Geheimnissen ihrer eigenen Familie konfrontiert.

Das Buch ist von Anfang bis Ende unglaublich spannend und fesselte mich. Nervenkitzel ist hier garantiert. Es fällt einem schwer, das Buch aus der Hand zu legen, bevor alle Geheimnisse endlich aufgeklärt wurden. Auf jeden Fall empfehlenswert!

Den Thriller von Borys Lankosz kann man auf Polnisch mit deutschen Untertiteln während des Filmfestes in München anschauen wie auch zusätzlich am Sonntag, den 07.07.19 um 20:00 im Matthäser Filmpalast München.

Screenings auf dem Filmfest München:
01.07.19 um 22:30 – ASTOR ARRI Kino
02.07.19 um 19:30 – Atelier 2
03.07.19 um 14.30 – HFF Kino 1

 

 

Dunkel, fast Nacht

Polnische Bücher als Weihnachtsgeschenk

Sucht ihr noch Weihnachtsgeschenke? Was könnte besser sein als ein spannender Roman? Und wenn der Autor des Buches auch noch aus Polen kommt? So eine tolle Überraschung! Ich liebe die polnische Literatur und freue mich riesig, wenn Bücher immer öfter ins Deutsche übersetzt werden. Ich empfehle euch ganz herzlich, einige von ihnen kennenzulernen. Jeder findet hier etwas Interessantes. Das erste Buch passt für einen guten Freund, das zweite ist magisch und wird bestimmt den Frauen gefallen, das dritte ist ideal für Krimifans. Viel Freude beim Verschenken!
Eure Ahoj-Literaturbeauftragte Iwona

 

Der Boxer – Szczepan Twardoch

Das Buch erscheint in Polen als Król, also der König. Der deutsche Titel gefällt mir besser. Wer schon frühere Bücher von Szczepan Twardoch kennt, der weiß, was hier zu Erwarten ist. Ich bin sicher, dass alle, die Twardochs frühere Bücher Morphin oder Drach gelesen haben, auch den Boxer lesen wollen. Der Schreibstil ist so außergewöhnlich, dass man entweder kapituliert oder noch mehr braucht. Auf jeden Fall sind sie schwer zu erklären. Der Boxer ist kein leichter und angenehmer Roman. Er ist stark und brutal. Er handelt von Warschauer Banditen in der Vorkriegszeit und konzentriert sich auf die jüdische Unterwelt. Die Hauptfigur der Geschichte ist Jakub Szapiro – ein junger Boxer. Das Geschehen findet auf den Warschauer Straßen der dreißiger Jahre statt, wo sich faschistische und sozialistische Kämpfer in einem luxuriösen Bordell treffen. Eine multikulturelle, geteilte Welt zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, durchzogen von nationalen, politischen und sozialen Konflikten. Twardoch erzählt drastisch, scharf und schockierend. Der Leser bleibt bis zum Schluss gespannt und am Ende erfährt er etwas ganz anderes, als er erwartet hat.

Aus dem Polnischen von Olaf Kühl, Rowohlt Verlag, 464 Seiten, Berlin 2018.

 

 

Sonka – Ignacy Karpowicz

Die Protagonistin Sonka ist eine alte Bäuerin, die im polnisch-weißrussischen Grenzgebiet lebt. Als junges Mädchen hat sie sich während des Krieges in einen SS-Offizier verliebt. Das war das größte Geheimnis ihres Lebens und jetzt erzählt sie alles einem Theaterregisseur aus Warschau, der sie zufällig gefunden hat. Sonka kann sich endlich von der Last der Vergangenheit befreien. Igor, der Regisseur, macht daraus ein Theaterstück, mit dem er versucht, auch seine eigene Identität besser zu verstehen. Die Handlung scheint also ganz einfach. So einfach ist es aber nicht. In der Prosa von Karpowicz erscheinen nämlich magische Dinge. „Sonka“ spielt auf mehreren Ebenen und hat sogar vier verschiedene Erzähler. Die ganze Geschichte ist leicht ironisch. Der Leser schwankt ständig zwischen Empathie und Misstrauen. Bemerkenswert ist die einzigartige Atmosphäre des Buches. Alltag im Grenzland, Dialekt, Legenden und Mythen wie auch die Zusammenfassung des Lebens als Theater – all das macht diesen Roman außergewöhnlich. Dem Autor ist es gelungen, viele Themen in einer Geschichte zu kombinieren, ohne in Klischees zu verfallen.

Aus dem Polnischen von Katharina Kowarczyk, Berlin Verlag, 208 Seiten, Berlin 2017.

 

 

Ein Körnchen Wahrheit – Zygmunt Miloszewski

Teodor Szacki ist die Hauptfigur der Krimiserie von Zygmunt Miłoszewski. Der bekannte Staatsanwalt zieht von Warschau nach Sandomierz, wo er einen brutalen Mörder finden soll. Wegen der grausame Art der Verletzungen, laufen die Ermittlungen in verschiedene Richtungen. Dämonen wachen in der Stadt auf. Der Leser kann tief in die polnische Geschichte eintauchen und genau die polnische Gesellschaft analysieren. Zu Wort kommen Juden mit alle Stereotypen und ihrer schmerzhaften Vergangenheit. Der Roman ist sehr gut konstruiert und hat tolle komische wie auch ironische Momente. Der Leser wird animiert zu spekulieren. Man muss sehr starke Nerven haben, um das alles in Ruhe zu ertragen. Es lohnt sich auf jeden Fall das spannende Buch zu lesen und danach, wenn es alles schon erklärt ist, sich das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.

Aus dem Polnischen von Barbara Samborska, Piper Verlag, 512 Seiten, Berlin 2016.

Viel Spaß beim Lesen und eine freudige Bescherung wünscht euch Ahoj Nachbarn!

Der Man-Booker-Literaturpreis 2018 geht nach Polen! – Lektüreempfehlung „Unrast“ von Olga Tokarczuk

Ihr sucht neuen Lesestoff für den Sommerurlaub? Da hilft Ahoj Nachbarn gern. Eine Empfehlung unserer Literaturkritikerin Iwona:

Dieses Jahr geht der hochdotierte internationale Man-Booker-Literaturpreis nach Polen. Die polnische Autorin Olga Tokarczuk und die US-amerikanische Übersetzerin Jennifer Croft teilen sich die Auszeichnung für den Roman „Bieguni“. Der wichtigste Literaturpreis Großbritanniens prämiert ausländische Werke, die ins Englische übersetzt wurden. Tokarczuk ist die erste Polin, die die renommierte Auszeichnung erhält. Die Jury lobte den „wundervollen Esprit, die Fantasie und die literarische Ausdruckskraft“ wie auch die Ironie der Autorin. Auf Deutsch ist das Buch unter dem Titel «Unrast» erschienen.

Buchcover Unrast (Schöffling und Co. Verlag, Frankfurt am Main 2009)

Schöffling und Co. Verlag, Frankfurt am Main 2009

Ich habe „Unrast“ mehrmals gelesen, weil es kein richtiger Roman ist. Es ist ein sehr originelles und ungewöhnliches Buch, da es nicht eindeutig einem bestimmten literarischen Genre zugeordnet werden kann. Es besteht aus kürzeren und längeren Fragmenten, Essays, Kolumnen, Geschichten, Biographien und Anekdoten.
Im Buch dreht sich alles um das Reisen, aber dabei berührt es auch eine ganze Reihe anderer Aspekte. Es geht auch um Sprache, Liebe, Anatomie, Medizin, Bücher, Wissenschaft und sogar Wachsmodelle. Ich bin überzeugt, dass jeder hier etwas für sich finden kann. Das Buch regt zur Neugier an und und dazu, mehr wissen zu wollen.
Einige im Buch beschriebene Szenen bleiben lange im Kopf und zwingen zum Nachdenken.

Da ist die Geschichte eines Mannes, der seine Frau auf einer Insel verloren hat. Eine junge Frau, die an den Kaiser von Österreich schreibt, mit der Bitte, den Körper ihres Vaters an sie zu übergeben, der nach dem Tod als Wachsfigur öffentlich zur Schau gestellt wurde. Ebenso berührend ist die Geschichte eines allein lebenden Mannes, dem ein Bein amputiert wurde. Diese kleinen Geschichten machen das Buch lesenswert. Durch die Betrachtung verschiedener Aspekte der Reise, nicht nur im Wortsinn, sondern auch im übertragenen Sinne, kann man das Leben und sich selbst aus einer anderen Perspektive betrachten.

Polnisches Buchcover von "Unrast" - Wydawnictwo Literackie

Polnisches Buchcover von „Unrast“ – Wydawnictwo Literackie

Das Buch kann nach dem Zufallsprinzip gelesen werden, es ist durch seinen fragmentarischen Aufbau nicht notwendig, es von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen. Das ist typisch für die Werke von Olga Tokarczuk. Ich lese sie oft und jedes Mal entdecke ich etwas Neues.

Kurz gesagt: „Unrast“ ist die beste Metapher für unsere moderne Zeit, die ich in der Literatur gefunden habe. Durch das scheinbare Chaos der Form beschreibt Tokarczuk das heutige Leben, die Eile und Informationsflut, mit der wir jeden Tag zu kämpfen haben. Von ganzem Herzen empfehle ich es jedem, dieses Buch zu lesen.

Katholische Klöster und osteuropäische Juden

Liebe Münchner,

heute gibt es einen ganz besonderen Ausflugstipp und zwar ins Kloster.
Etwa eine Stunde von München entfernt liegt die beschauliche Abtei St. Ottilien. Diese ist dank Hofladen, schöner Umgebung und nettem Biergarten auch sonst einen Ausflug wert, zur Zeit aber aus einem ganz bestimmten Grund noch mehr: Seit Mitte Juni befindet sich hier eine Ausstellung über die Zeit des Klosters als Lager für vor allem jüdische Displaced Persons nach dem Zweiten Weltkrieg. Der von den Aliierten eingeführte Begriff bezeichnet Ausländer, die sich aufgrund des Krieges nicht in ihrem Heimatort aufhielten. In St. Ottilien waren dies über 5000 Überlebende aus Osteuropa, die zwischen 1945 und 1948 dort lebten.

Eröffnung der Ausstellung. Foto: Ahoj Nachbarn

Eröffnung der Ausstellung. Foto: Ahoj Nachbarn

Nach St. Otttilien kamen sie aufgrund eines tragischen Unglücks. Im Glauben einen deutschen Militärtransport zu bombardieren, trafen die Aliierten in den letzten Kriegstagen einen Transport von Häftlingen aus den KZ-Außenlagern Kauferings. Die Verletzten wurden in das Militärlazarett St. Ottilien gebracht und verbrachten dort zum Teil mehrere Jahre. In dem Kloster entwickelte sich in dieser Zeit eine lebendige jüdisch-osteuropäische Kultur.

Öffentlicher Rundgang durch das Gelände. Foto: Ahoj Nachbarn

Öffentlicher Rundgang durch das Gelände. Foto: Ahoj Nachbarn

St. Ottilien hat nun zusammen mit dem Jüdischen Museum München und dem Lehrstuhl für jüdische Geschichte und Kultur der LMU München eine Ausstellung über diese ungewöhnliche Zeit erstellt, die noch bis zum 23. September 2018 zu sehen sein wird. Mit Tafeln im Außengelände und mehreren Audiostationen vermittelt diese das damalige Geschehen. Am 8. Juli, 5. August und 2. September finden zudem öffentliche Rundgänge statt.
Besonders spannend: Zur Eröffnung der Ausstellung war nicht nur viel lokale Prominenz vor Ort, sondern auch sogenannte Ottilien-Babys. Frauen und Männer also, die in St. Ottilien selbst geboren worden waren und häufig von weit her, sogar aus Australien, angereist waren.

„Charkiw ist authentisch“

Eine Stadt als „tragisches Museum“? So bezeichnet der bekannte ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowitsch  in seinem „Kleinen Lexikon intimer Städte“ die ostukrainische Stadt Charkiw. Sie sei aber auch „authentisch“.

Jugendstilhaus in Charkiw, CC: Wikimedia Commons

Dass die Stadt weit mehr ist als eine Frontstadt für den nahen Krieg im Donbass zeigt in ihrem Beitrag Ahoj-Mitglied Katrin Hillgruber. Für den Deutschalndfunk Kultur hat sie sich mit der lebendigen Literaturszene der Stadt auseinandergesetzt. Dabei zeigt sie, dass die Stadt nicht nur historisch für wichtige schriftstellerische Impulse sorgte – 1930 fand hier die Konferenz der revolutionären Schriftsteller statt, die futuristische Impulse weitergaben. Auch heute kommt aus Charkiw große Literatur. Zum Beispiel von Serhij Zhadan, dessen Roman „Internat“ auf der Leipziger Buchmesse mit einem Preis für die „enorme Wucht“ der Übersetzung geehrt wurde. „Lebendiger als in diesem Roman kann man vom Krieg nicht erzählen, lebendiger kann eine Übersetzung nicht sein.“ kommentierte die Jury.

Was die Literaturszene der Stadt sonst noch zu bieten hat, könnt ihr in Katrins Beitrag nachhören.