Ein Ausflug zum CROSSING EUROPE. Und da vor allem: Ein Abend mit Michalina Olszańska

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Das Team vom CROSSING EUROPE weiß, wie man für gute Stimmug sorgt. (Foto: Christoph Thorwartl)

Das goEast Film Festival ist neben dem Filmfestival in Cottbus eines der größten Filmfestivals mit Schwerpunkt auf osteuropäischem Kino im deutschsprachigen Raum. Ein guter Grund für Lysann hinzufahren. Genau zeitgleich fand dieses Jahr in Linz das CROSSING EUROPE statt, das sich „programmatisch dem eigenwilligen, zeitgenössischen und gesellschaftspolitischen AutorInnenkino aus Europa“ verschrieben hat. Ein guter Grund für mich hinzufahren.

Festivalfilme sind ja eigentlich schon ein Genre an sich. Jedes Jahr gibt es ein Bündel Filme, das in sämtlichen Programmen zu finden ist – von Amsterdam bis Zürich, von Cannes bis zum DOK.fest. Unter diesen Voraussetzungen überrascht es vielleicht auch nicht weiter, dass Lysann und ich zufälligerweise beide den gleichen Film gesehen haben. Spannender ist da schon die Tatsache, dass dessen Titel für jede von uns auch der erste war, den wir bei unserem postfestivalen Stammtisch-Gespräch erwähnen mussten. Es geht natürlich um CÓRKI DANCINGU (THE LURE/ SIRENENGESANG) von Agnieszka Smoczyńska, der in Linz in der Nachtsicht lief, der Genre-Schiene für alles Schaurige, Phantastische und Skurrile.

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Michalina Olszańska als verstörende Nixe in  CÓRKI DANCINGU (Foto: Crossing Europe)….

Da passt der Film mit seinen halbnackten, männermordenden, popsongsträllernden Meerjungfrauen natürlich perfekt rein. Auch wenn für mich persönlich ein paar Szenen problematisch waren und der Film nicht ganz über seine, zugegeben ziemlich einnehmende, knallbunte Ästhetik und Musik hinaus kommt, war das Publikum begeistert und dank des Films in guter Stimmung. Ob ihr ihn auch bald (vielleicht sogar auf einem von uns organisierten Festival) in München sehen könnt? Der Soundtrack allein wäre auf jeden Fall einen Kinobesuch wert!

Gleich im Anschluss an CÓRKI DANCINGU war es mit der guten Stimmung aber auch schon wieder vorbei und das komplette Kontrastprogramm angesagt: JA, ÓLGA HEPNAROVA, schildert in langsamen schwarz-weiß Bildern die wahre Geschichte einer junge Tschechin, die Anfang der 1970er Jahre zur Massenmörderin wurde. Michalina Olszańska, gerade noch lüsterne Popsirene mit wahlweise Fischschwanz oder rotem Paillettenkleid, spielt die Titelrolle als verschlossener, gekrümmt laufender Tomboy mit Pagenkopf und enttäuschtem Blick, wie die große Schwester von Matilda aus LÉON.

… und als verstörte Mörderin in JA, ÓLGA HEPNAROVA (Fotos: Crossing Europe)

Die 1992 in Warschau geborene Schauspielerin ist allerdings auch in dieser Rolle so überzeugend, dass man schnell alle Vergleiche vergisst (selbst als später im Film sogar noch ihre Filmschwester aus CÓRKI DANCINGU auftaucht). Mit stiller Intensität zeigt sie Ólga Hepnarová als junge Frau, der das Leben in einem Teufelskreis aus Ausgrenzung, Ächtung und fataler Gegenwehr nur wenig Chancen gelassen hat. Berüchtigt ist der Fall nicht nur durch die besondere Kaltblütigkeit ihres Amoklaufs sondern auch durch den Umstand, dass Ólga Hepnarová die letzte Frau war, die in der Tschechoslowakei hingerichtet worden ist. Noch heute ranken sich zahlreiche, teils reißerische Mythen um ihre Person und deren Tat, die Tomáš Weinreb und Petr Kazda nie entschuldigen, sich ihr aber mit viel Feingefühl nähern.

So konnte man in Linz innerhalb weniger Stunden zwei völlig konträre polnische, bzw. polnisch-tschechische Produktionen sehen, beide auf ihre Art faszinierend und lange nachhallend.

Christoph Thorwartl

Beim CROSSING EUROPE ist man entspannt. (Foto: Christoph Thorwartl)

Auch die anderen Festivalbeiträge, die ich aus dem insgesamt sehr überzeugenden Programm gesehen habe, haben neben Frauen mit Fischschwänzen und Massenmordtendenzen Außenseiter in den Fokus ihrer Geschichten gerückt: Von der Mittzwanzigerin, die ziel- und planlos in ihre Heimatstadt zurückkehrt und erstmal nichts größeres in Angriff nimmt, als das Badezimmer ihrer Oma zu renovieren (BADEN BADEN, der zu Recht den Preis für den besten Spielfilm gewonnen hat); einer jungen Libanesin, die Anfang der 90er nach Paris kommt und nicht nur an den Männern wächst, die um sie buhlen (PEUR DE RIEN); über eine Gruppe Skater in Georgien (WHEN THE EARTH SEEMS TO BE LIGHT), bis hin zu verschiedenen Paaren, die inmitten Europas bzw. der europäischen Krise (denn gibt es da überhaupt noch einen Unterschied?) ihren Alltag zwischen Billiglohnjobs, Sex, Drogen und dem Clash ihrer Träume mit der Realität bestreiten (EUROPE, SHE LOVES). Der Publikumspreis ging (ebenfalls zu Recht) an den bulgarischen Film JAJDA, in dem sich erste zarte Bande zwischen zwei Teenagern in beinahe unwirklicher Kulisse anbahnen. Der als Science Fiction deklarierte belgische Beitrag BRAK zeigte eine Welt, in der nun auch alle Europäer zu Flüchtlingen geworden sind. Gedreht an Originalschauplätzen stellt sich die Frage, ob diese düstere Zukunftsvision tatsächlich noch eine ist.

Zum Glück ist das CROSSING EUROPE aber nicht nur ein Festival des anspruchsvollen Kinos sondern auch der entspannten Atmosphäre. Egal ob bei allabendlichen Konzerten auf dem OK Deck im Turm mit Blick über die Stadt oder mit einem Bier im Innenhof, es ist eines der gemütlichsten, sympathischsten Festivals, das man sich so vorstellen kann. Gute Unterhaltung, nette Leute, eine relaxte Stimmung und fast immer volle Säle, was will man mehr?!

Ich fahre 2017 auf jeden Fall gerne wieder hin und auf den nächsten Film mit Michalina Olszańska freue ich mich erst Recht!

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Die Reihe Tribut widmete sich beim CROSSING EUROPE in diesem Jahr übrigens der 1949 in Prag geborenen Grande Dame des Dokumentarfilms Helena Třeštíková und zeigte eine Auswahl ihrer mittlerweile über 50 Filme. MALLORY, der neueste, war einer der sechs Eröffnungsfilme des Festivals und ist diese Woche auch noch zwei Mal beim DOK.fest in München zu sehen.

Auch WHEN THE EARTH SEEMS TO BE LIGHT und EUROPE, SHE LOVES werden in diesen Tagen nochmal beim DOK.fest gezeigt.


 

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Über Katharina

Katharina lebt seit ihrem Studium in Wien ihre Leidenschaft für Filme, Reisen und kulturellen Austausch bei Filmfestivals aller Orten aus – egal ob auf spanischen Inseln, in amerikanischen Groß- oder fränkischen Kleinstädten. Kein Wunder also, dass Sie früher oder später durch Cinepol auf Ahoj Nachbarn stoßen musste. Hier freut sie sich, ihren Horizont Richtung Osten erweitern zu können und über jedes polnische Wort, das man sich leicht merken kann. Kotlet, mleko, smacznego!

Ein Gedanke zu „Ein Ausflug zum CROSSING EUROPE. Und da vor allem: Ein Abend mit Michalina Olszańska

  1. Liebe Katharina,
    ich finde Deinen Beitrag über „Já, Olga Hepnerova“ sehr treffen. Ich habe diesen Film im April beim Festival Finale in Pilsen gesehen. Allerdings bin ich nicht deiner Meinung, dass Olga zwangsläufig in ihrem Teufelskreis hätte bleiben müssen. Die persönliche Tragik dieser Frau war wohl eher, dass sie sich selbst als Opfer gesehen und in ihrem Prozess vor Gericht auch so stilisiert hat. Nicht erkennen wollen hat sie, dass sie selbst durchaus diesen Teufelskreis hätte durchbrechen können. Olga aber wollte nicht, sie hat sich stattdessen mehrmals selbst immer tiefer in ihre Außenseiterrolle hineingeritten. Das macht der Film auch deutlich. Srdečne zdravy z Plzně posilá Beáta

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