Das deutsch-polnische Tanztheaterkollektiv inter:ference tanzt und performt seit 2011 durch die Welt, von München bis St. Petersburg. Ohne festen Proberaum, aber mit umso größerer Intensität, setzt es sich in seinen Stücken mit der Zwiespältigkeit des Lebens auseinander. 2013 erhielt das Stück „Heimsuchung/Nawiedzenie“ den Schlesischen Theaterpreis. Ein Gespräch mit Linda Sollacher und Philine Kleeberg über die kreative Arbeit im Kollektiv, die Überwindung von Sprachbarrieren und die Auseinandersetzung mit dem Monster in uns.
Wie und warum habt Ihr Euch zusammengefunden?
Gefunden haben wir uns 2011 in München. Durch den Verbund europäischer Theaterakademieen E:UTSA kam erst dort zu einem ersten Zusammentreffen. Es gab ein Gespräch zwischen der deutschen und polnischen Seite und die erste Idee ein Projekt zusammen auf die Beine zu stellen. Auf beiden Seiten haben sich Leute zusammengefunden, die Lust hatten etwas Neues auszuprobieren. Schnell stand das Thema fest: eine Stückentwicklung zu Olga Tokarczuk’s „die Zimtläden“. Danach folgten Proben des ganzen Teams in Bytom (Polen) und schließlich die Premiere in München, der zahlreiche Gastspiele in Deutschland, St. Petersburg, Krakau und Miskolc (Ungarn) folgten.
Die Zusammenarbeit unterschied sich dabei wesentlich von der Arbeit, die wir sonst kannten. Wir waren alle gewohnt, dass eine Person Regie führt und die Ansagen macht, maximal ein kleines Regieteam. Aber wir wollten bewusst anders arbeiten, gemeinsam! Seither versuchen wir, hierarchiefrei zu arbeiten und Entscheidungen zu treffen. Jeder bringt sich voll und überall ein und entscheidet überall mit. Nach unserer erfolgreichen ersten Produktion entschieden wir uns, weiter zusammen zu arbeiten und eine Gruppe zu gründen. Es folgten drei weitere Produktionen in unterschiedlichen Konstellationen. An unserem neuen Projekt arbeiten 7 Tänzerinnen und Tänzer, eine Bühnenbildnerin, eine Kostümbildnerin, eine Dramaturgin und ein Komponist.
Wie habt Ihr Euren Namen gewählt?
Die Namenssuche war tatsächlich schwierig. Der Name sollte ja zu uns passen, etwas aussagen und dabei auch noch markant sein. Nach allerhand Diskussionen einigten wir uns darauf, dass little:interference uns und unsere Bildsprache am besten beschreiben würde. Interference – die Störung, der Eingriff, die Beeinflussung – Elemente die uns interessieren und die wir immer wieder aufgreifen, im Tanz, in der Musik, den kleinen Details. Nicht nur die visuellen Gewohnheiten wollen wir immer wieder brechen, auch inhaltlich sollen unsere Projekte ein klein wenig Einfluss auf die Gedankenwelt unser Zuschauer nehmen. Zumindest wünschen wir uns das.
Nach unserer dritten Produktion entschieden wir „little“ zu entfernen und damit unseren Entschluss zu markieren, an unserer Kooperation weiterhin und mit wachsender Erfahrung auch immer professioneller zu arbeiten…
Wie spiegeln sich die polnischen und deutschen Einflüsse in Eurer Gruppe wieder, welche Stile bringen sie mit, wie unterscheidet und ergänzt Ihr Euch?
Die Arbeitsweise hat sich von Anfang an ziemlich unterschieden. Das liegt nicht nur an den zwei unterschiedlichen Kulturen, sondern auch an den unterschiedlichen Bereichen, aus denen wir kommen. Der polnische Teil unserer Gruppe kommt komplett vom Tanz, alle haben Tanz am Department für Tanztheater in Bytom studiert. Und von deutscher Seite kommen die SchauspielerInnen, Bühnen- und Kostümbildnerinnen, Dramaturginnen und Musiker dazu.
Hinzu kommt eine völlig unterschiedliche Bildwelt auf der deutschen und auf der polnischen Seite. Wir (die deutsche Seite, Absolventen der Bayerischen Theaterakademie) haben gelernt, uns ganz breitgefächert, auch abstrakt, einen Zugang zu einem Thema oder einem Stück zu erarbeiten. Die polnischen Tänzerinnen und Tänzer hingegen arbeiten mit sehr direkten Bildern (im Sinne der Darstellungsweise). Das ergibt auch oft eine zuerst unterschiedliche Schwerpunktsetzung bei der Themenfindung. Gerade zu Beginn einer Arbeit ist es daher immer wichtig, dass wir so lange sprechen, bis jede(r) die Sichtweise des oder der anderen auf das neue Projekt nachvollziehen kann. Gerade das macht unsere Zusammenarbeit aus und interessant. Jeder muss bereit sein, offen auf die Vorschläge, Ideen, Fragen und Kritiken der anderen einzugehen – wir lernen mit- und voneinander. Und ganz nebenbei lernen wir auch immer mehr die Kultur und Herkunft der anderen kennen.
Wie oft und wo trefft Ihr Euch? Wie entstehen Eure Performances?
Aufgrund der doch recht großen Distanz sehen wir uns leider viel zu selten. Die Arbeit an einer Produktion läuft also vorab intensiv über das Internet, wir sprechen per skype, mailen, etc. Unsere Hauptplattform der Kommunikation ist tatsächlich aber facebook.
Alles beginnt mit einer Idee, die in den Raum gestellt wird. Dann denken erst einmal alle darüber nach, recherchieren und teilen ihre Ideen und Gedanken dazu. Als nächstes versuchen wir oft, ein „artists in residence“-Programm zu finden. Das sind Programme verschiedener Institutionen, die Künstlern Wohn- und Arbeitsräume für einen gewissen Zeitraum zur Verfügung stellen. Für uns ist das ideal, wir können am jeweiligen Ort endlich alle an einem Ort zusammenkommen und gemeinsam an unseren neuen Produktionen arbeiten.
Der tatsächlich künstlerischen Arbeit geht also immer ein ganz schöner Batzen Organisationsaufwand voraus. Ist der geschafft, folgt eine lange Zeit des Ausprobierens und Diskutierens – und die Aufklärung von Missverständnissen. Wir können nur auf Englisch kommunizieren, was für uns alle eine Fremdsprache ist. Dadurch entstehen tatsächlich immer mal wieder kleinere Hürden. Theater lebt z.B. von Emotionen. Die lassen sich in der Muttersprache selbstverständlich leichter und natürlicher ausdrücken. Alles immer in einer Fremdsprache zu kommunizieren, ist für keinen von uns leicht, egal wie fließend wir grundsätzlich Englisch sprechen. Sobald wir alle auf demselben Stand sind, wird eine grobe Struktur festgelegt und separat (zurück in Polen bzw. Deutschland) weiter gearbeitet. Es folgen meist einige Wochen intensiver Endproben, in denen alle Komponenten (Tanz, Schauspiel, Musik, Bühne und Kostüm) zusammengeführt werden.
Ihr wart zuletzt bei einer artists-in-residence Woche in Stetin. Wie kam sie zustande, wie verlief sie?
Die Woche in Stettin kam durch ein Festival zustande, an dem wir mit unserer Produktion „Jetzt|Teraz“ (2014) teilgenommen hatten. Dieses fand 2015 am Theater Kana statt. Nach einigen Gesprächen mit dem Leiter des Theaters bot dieser uns an, zur Erarbeitung eines neuen Stückes an sein Theater zu kommen. Dankenswerterweise stellte er uns u.a. eine Unterkunft und die Proberäume zur Verfügung.
Welche Eindrücke habt Ihr in Stetin gewonnen, welche Orte könnt Ihr in der Stadt empfehlen?
Wir waren eher abseits der üblichen Orte unterwegs. Besonders beeindruckt hat uns ein alter Industriehafen samt stillgelegtem Schlachthof und etliche weiteren Gebäuden drum herum. Sehr schön, verfallen und vollgepackt mit Geschichten und Bildern, auf die wir immer wieder als Inspirationsquelle zurückgreifen.
Wann und wo kann man Euch das nächste Mal in München sehen?
Momentan beschäftigen wir uns mit dem inneren Monster. Die Idee basiert auf der Geschichte einer Mutter unserer Tänzerinnen. Sie war schwanger, als die Tschernobyl-Katastrophe ausbrach. Uns interessiert der eigene Umgang mit der Angst und den Zweifeln. Wie trifft man eine Entscheidung, die nicht nur das eigene Leben, sondern auch das Leben anderer beeinflussen kann und wird? Geplant ist z.B. eine Premiere im Oktober 2017 im Theater HochX. Das hängt noch von einigen laufenden Bewerbungen ab, wir hoffen sehr, dass es klappt. Drückt uns die Daumen!