Rückblick auf das „Warzawa-Munich-Festival“

Für alle, die das Festival verpasst haben, haben wir hier einen tollen Artikel, den Ahoj-Mitglied Katrin Hillgruber für den Deutschlandfunk verfasst hat:

 

Polnisches Theater, nächste Generation: Das „Warszawa-Munich-Festival“ in den Münchner Kammerspielen

Von Katrin Hillgruber

 

Eine Frau am Klavier, vier Männer vor einer niedrigen Turnbank, und alle tragen schwarz-weiße Sportkleidung: So schlicht kommt Cezary Tomaszewskis musikalische Revue „Cezary goes to War“ daher. Die fünf Akteure versichern dem Publikum als einer fiktiven Warschauer Musterungskommission, eben jener Cezary Tomaszewski in verschiedenen Lebensaltern zu sein. Der Rekrut Cesary wurde in die minderwertige Kategorie E eingeteilt, möchte aber durch Höchstleistungen beim Bodenturnen beweisen, dass er in keine andere als die ehrenvolle Kategorie A gehört. Um sein Anliegen zu bekräftigen, schmettert der fünffache Cezary – darunter der Opernsänger Michał Dembinski – unentwegt patriotische Weisen des polnischen Nationalkomponisten Stanisław Moniuszko (1819-1872), unterbrochen durch Turnkommandos – eine hochkomische Angelegenheit.

 

Tapfere Edelmänner

Das militärische Setting passte an diesem Februarwochenende ausgezeichnet in die Kammerspiele, die durch die Münchner Sicherheitskonferenz nur beschränkt angefahren werden konnten. „Cezary goes to War“ ist ein Gastspiel von Polens berühmtestem freien Avantgarde-Theater Komuna//Warszawa. Der offen schwule Regisseur Cezary Tomaszewski balanciert mit seinem umjubelten Stück zwischen Ironie und seiner tiefen Verneigung vor dem Komponisten Moniuszko, dessen gerahmtes Porträt auf der Bühne steht. In Moniuskos romantischen Volksliedern geht es um tapfere Edelmänner und wartende Mädchen am Spinnrad. Will der Regisseur mit diesem Patriotismus des 19. Jahrhunderts den der gegenwärtigen PIS-Regierung konterkarieren? „Absolut, weil das wirklich heftiger und heftiger wird“ meint Tomaszewski: „Eine politische Kritik mit Queer Tools zu machen: Ich finde das funktioniert, denn das spielt auf der ganz dünnen Linie zwischen Humor und Kritik, weswegen man die Leute nicht erschreckt, weil ich diese Musik wirklich liebe. Die Ironie kommt ganz von selbst, aber sie kommt von der Liebe und dem Versuch, diese Musik und diese Texte und diese Geschichte zusammenzubringen und zu fragen, was das mit mir selbst macht. Viele politisch Rechtsgerichtete haben das Stück gesehen und überhaupt nicht verstanden. Sie waren total glücklich darüber, dass ich die Politik dieses komischen Großpolens des 19. Jahrhunderts propagiere, das nie existiert hat. Für mich ist das ist der größte Erfolg dieses Projekts.“

4 Männerdie Sportübungen machen

Cezary goes to War
© Patrycja Mic

4 Männer in Sportklamotten auf einer Trainingsbank in einer Turnhalle. Aus dem Theaterstück Cezary goes to war

Cezary goes to War
© Patrycja Mic

 

Sehnsucht nach Empathie

Ganz ohne Requisiten kommt Anna Karasińskas Stück „Fantasia“ aus. Sechs Personen stehen in Freizeitkleidung auf der schwarzen Bühne, darunter die bekannte Schauspielerin Agata Buzek. Sie warten auf die Anweisungen der unsichtbaren Regisseurin aus dem Off, die sich dem Publikum vorstellt, an diesem Abend auf Englisch: „I am here, I am sitting on the balcony right now, and I am present in flesh. You cannot see me but I can see you. I am doing this live, so I may start laughing or start sleeping at some point or the stress makes me read too fast. I decided to perform in English tonight; I hope you will be able to understand me.”

„Fantasia”, eine Produktion des TR Warszawa, ist eine ungewohnte Herausforderung, denn seine eigentliche Handlung spielt sich in der Mimik der Akteure und der Phantasie der Zuschauer ab. Anna Karasińska, die aus Łódż stammt, geht es mit ihrem ruhigen psychologischen Anweisungstheater vor allem um die Wiedergewinnung von Empathie, die sie im hektischen Warschau so vermisst, wo kaum mehr gegrüßt werde: „Paweł is now playing the world champion in greeting people. We see the contestant getting ready for a very difficult event: He will have to say Hello to two people who clearly don’t like him, two people who ignore him and one person who finds him utterly embarrassing.”

 

Polen im Jahr 2118

„Cezary goes to War” und „Fantasia” bildeten die Höhepunkte des unabhängigen „Warszawa-Munich“-Festivals, das von der Zentrale für politische Bildung unterstützt wurde. Das dritte aus Polen stammende Stück mit dem programmatischen Titel „The Polaks explain the future“ erwies sich dagegen als eine eher harmlose Angelegenheit. Wojtek Ziemilski versetzt die jungen Geschwister Jaśmina und Piotr Polak in ein Disco-Setting. Mit Remixes am Mischpult versuchen sie, ihrer zugeschalteten Mutter die Angst vor der Zukunft im Jahr 2118 zu nehmen: „Hello, my name is Jaśmina Polak. – My name is Peter Polak. – We are very happy that you are here and hope you feel comfortable. And today we prepared for you a teeny-tiny DJ-set.”

Das Publikum zeigte sich von dieser Zukunftsmusik restlos begeistert. Alle Aufführungen sowie die begleitenden Vorträge und Diskussionen des viertägigen Festivals waren sehr gut besucht. Dabei ging es der Dramaturgin Valerie Göhring als Initiatorin stets um eine gesamteuropäische Perspektive, etwa bei einer Diskussion über die Situation von Frauen angesichts rechter Regierungen, die sich zu ihren Fürsprecherinnen ernennen. Hierzu eingeladen hatte sie unter anderem Polens bekannteste Feministin Kazimiera Szczuka.

So nährte „Warszawa-Munich“ die Hoffnung auf eine indirekte, aber gerade deshalb besonders wirkungsvolle Kritik an der politischen Situation Polens. Oder in den Worten des Theaterwissenschaftlers Tomasz Plata: „Die Besonderheit des neuen polnischen Theaters besteht darin, mit zwei verschiedenen Situationen zu arbeiten. Die erste besteht in der Immersion, das heißt, das Publikum in eine Situation wie in einem Club hineinzuversetzen. Die zweite besteht in der Empathie, um den Zuschauern die Aufführung so nah wie möglich zu bringen und eine starke emotionale Bindung herzustellen. Es handelt sich um zwei Strategien mit dem einen Ziel, das traditionelle Verhältnis zwischen Bühne und Publikum zu verändern, das auf einer Ungleichheit beruht: Man sieht zu, wie jemand etwas auf der Bühne macht. Das Theater, das Sie hier bei diesem Festival sehen können, ist zwar politisch, aber nicht im herkömmlichen Sinn, sondern in der Art, wie es über die zwei Seiten der theatralischen Situation denkt.“